Jean-Paul Boetius, Bartosz Bialek und jetzt Marco Richter – in den vergangenen Monaten hat der SV Darmstadt 98 drei Spieler verpflichtet, die nach schweren Krankheiten und Verletzungen einen Karriereknick hatten. Ohne diesen Knick wären diese Spieler für die Lilien nicht erschwinglich gewesen. Ob sich die Verpflichtungen allerdings auch sportlich auszahlen, muss sich zeigen.
Das finanzielle Risiko für den Verein ist bei allen drei Spielern niedrig. Für Bialek prägte Sportdirektor Paul Fernie gar den Ausdruck „Low-Risk-High-Reward-Transfer“. Bei Boetius ist die Ausgangssituation ähnlich, auch er war ablösefrei und wird einen stark leitungsbezogenen Kontrakt bekommen haben.
Richter kam zunächst auf Leihbasis, von einer Kaufoption war in den offiziellen Mitteilungen keine Rede. Auch hier werden sich die Kosten im Rahmen halten, vermutlich wird Mainz sogar einen Teil des Gehalts tragen, wie das bei Leihen von einem finanzstarken zu einem kleineren Verein häufig der Fall ist.
Richter ist am weitesten
Von den drei genannten Spielern ist Richter körperlich am weitesten. Bis zu seinem Wechsel in der vergangenen Woche hatte der 27-Jährige mit Mainz die Vorbereitung komplett absolviert. Als einziger stand er beim Saisonauftakt gegen Bochum nicht nur im Kader, sondern gleich in der Startformation. Nicht alles gelang ihm bei seinem Debüt, bisweilen merkte man verständlicherweise die fehlende Bindung an die neuen Mitspieler. Aber bei der Flanke aus dem Fußgelenk, die das 2:1 für die Lilien einleitete, zeigte er, was für ein feiner Fußballer er sein kann.
Mit Boetius ist Richter gleich mehrfach verbunden. Beide sind nicht nur Ex-Mainzer (wenn auch zu unterschiedlichen Zeiten). Sie standen auch zeitgleich in der Saison 2022/23 bei Hertha BSC unter Vertrag. Und dort wurde im Spätsommer 2022 bei beiden zudem im Abstand weniger Wochen Hodenkrebs diagnostiziert.
Richter gab wenige Woche nach seiner Operation bereits wieder sein Comeback. Einen direkten Zusammenhang zwischen Krankheit und Karriereknick herzustellen, ginge wohl zu weit. Doch spätestens mit dem Abstieg der Hertha am Saisonende ging es auch mit Richter bergab. Er konnte nicht mehr an jene Leistungen anknüpfen, die ihn in den Dunstkreis der Nationalmannschaft gebracht hatten.
Boetius kämpft um den Anschluss
Boetius erwischte es gesundheitlich allerdings wesentlich schlimmer. Er musste sich auch einer Chemotherapie unterziehen. Insgesamt pausierte er wegen der Krankheit eineinhalb Jahre mit dem Profifußball, ehe ihn Fernie und Chefcoach Florian Kohfeldt in der Winterpause ans Böllenfalltor lockten.
In der Rückrunde ließ Boetius einige Male sein Können aufblitzen. Sechs Mal stand er in der Startformation, insgesamt kam er auf zwölf Einsätze, davon allerdings keinen über die volle Spielzeit. Kurz vor Beginn der Sommervorbereitung zog er sich bei einem Spiel mit der Nationalmannschaft von Suriname beim Gold Cup eine Muskelverletzung zu, die ihn bis jetzt außer Gefecht setzte.
In diesen Tagen soll der mittlerweile 31-Jährige wieder voll mit der Mannschaft trainieren. Auch wenn Trainer und Mitspieler von dem Menschen und Spieler Boetius schwärmen – von seiner alten Leistungsfähigkeit ist er noch weit entfernt.
Bialek sieht Licht am Ende des Tunnels
Das gilt auch für Bialek. Einst galt der Pole schon als der neue Robert Lewandowski, der VfL Wolfsburg berappte rund fünf Millionen Ablöse für das Talent. Doch mehrere schwere Knieverletzungen warfen den mittlerweile 23-Jährigen in den vergangenen zwei Jahren massiv zurück. In der Spielzeit 2023/24 waren es sechs Einsätze, in der abgelaufenen Saison blieb er ganz ohne Pflichtspiel.
Bialek ist von allen drei genannten Spielern derzeit am weitesten von der Mannschaft entfernt. Aber auch bei ihm gibt es Licht am Ende des Tunnels. Trainer Florian Kohfeldt will ihn bei einem für das kommende Wochenende geplanten Testspiel erstmals einsetzen – so weit alles weiter nach Plan verläuft.
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Ich schätze beide Seiten gehen nicht von einem dauerhaften Verbleib bei den Lilien aus. Die Verträge werden entsprechend geschnitten sein. Aufbau, Nutzen aus der Qualität ziehen, keine Steine in den Weg legen, wenn einer kommt und Ablöse zahlt. Spieler mit einer gewissen Qualität und Ausstrahlung machen auch die Mitspieler besser. Alle lernen von den besseren durch direkte Beobachtung. Und wenn sie doch bleiben, umso besser. Selbst wenn gesundheitsbedingt das Karriereende in Betracht zu ziehen ist, wird der Verein kein Geld verbrannt haben.
Spieler zu holen, die einen Karriereknick haben, ist bei den Lilien auch nicht neu. Das war zu Schusters Zeiten erprobtes Mittel. Es ist ein bisschen so, wie bei den Leihen. Man gibt dem Spieler die Chance auf niedrigerem Niveau wieder Fuß zu fassen und sich für höheres anzubieten – siehe Lord Wagner seinerzeit.