Lilienblog-Autor Martin Hohmann hat neulich eine brutal gute Laufleistung erbracht – und trotzdem seine Bahn verpasst. Anlass genug, sich in der Glosse „Böllen. Fallen. Tore.“ ein paar Gedanken über mehr oder weniger sinnvolle Leistungsparameter im Fußball zu machen.
In Darmstadt weiß es jeder: HEAG steht für „Haste’s eilisch, als gelaafe“. Neulich auf der unteren Rheinstraße: Ich will Richtung Langer Lui, befinde mich zwischen den Tram-Stationen „Berliner Allee“ und „Rheinstraße/Rhein-Neckar-Straße“. Beim Blick zurück sehe ich, dass die 4 gerade vom Hauptbahnhof kommend auf die Rheinstraße einbiegt. Ich habe die Wahl: schnell 150 Meter zurück zur Berliner Allee sprinten oder 300 Meter in Fahrtrichtung zur Rhein-Neckar-Straße wetzen. Ich entscheide mich falsch: Statt der Bahn entgegenzurennen, sie sozusagen „taktisch anzulaufen“, will ich sie in Fahrtrichtung abpassen, werde aber von ihr überholt, laufe ihr dann hinterher – und verpasse sie an der Rhein-Neckar-Straße. Fazit: Hammermäßige Laufleistung … aber trotzdem verkackt. Noch bitterer: Alle, die schon an einer der beiden Stationen gewartet hatten, haben die Tram bekommen. Mit NULL Laufleistung!!! Fazit: Gutes Stellungsspiel schlägt IMMER jede noch so starke Laufleistung.
Theorien für die Tonne
Ich kann’s ja verstehen: Alle suchen das Ei des Columbus, wollen DEN einen Wert ausmachen, auf den getrimmt die eigene Mannschaft zum Überflieger wird. Und alle Jahre wird da ne neue Sau durch die Stadien getrieben: Zweikampfwerte, Ballbesitz, Expected Goals, weiß der Geier, was als nächstes von den Statistik- und Taktikfüchsen ausbaldowert wird. Nur, es lässt halt trotzdem nicht zuverlässig auf Sieg und Niederlage schließen.
Zweikampfwerte: Zweikämpfe kannst du so viele gewinnen, wie du willst. Wenn du aber die beiden, auf die es ankommst, verlierst – zum Beispiel beim Ball-Geschiebe am eigenen Strafraum, um den Gegner rauszulocken – dann ist’s ratzfatz zappenduster. Endstand: 0:2.
Ballbesitz: Was nützen 82 Prozent Ballbesitz, wenn der Gegner dich nicht in die Nähe des eigenen Tors lässt, mit Befreiungsschlägen und zwei Kontern seine 18 Prozent zusammenkratzt, und dabei zwei Buden macht. Wieder 0:2. Trotz Ballbesitz-Überlegenheit.
Expected Goals (xG): Da kommst du 37 mal auf die vielversprechendsten dreieinhalb Quadratmeter in der gegnerischen Box, hast aber leider „Stürmer“ mit zwei linken Füßen. Die versemmeln, verstolpern, vergeben eine Chance nach der anderen. Der Gegner hat den einen Mann mit ner Hammer-Klebe, der zieht zweimal von weit außerhalb des Strafraums ab und … Schon wieder 0:2. Die Statistik sagt zwar xG 4,7 zu 0,2, aber: Was willste machen?
Wichtig is auf’m Platz!
Der ehrwürdige Adi Preißler (->) hatte Recht: Seine einfache Wahrheit „Entscheidend is auf’m Platz“ wurde Jahre später von König Otto nur geringfügig mit „Die Wahrheit ist auf’m Platz“ abgewandelt. Aber wie lässt sich „auf’m Platz“ sinnvoll messen? Dazu folgende Vorschläge:
Der Persil-Parameter: Je mehr Waschmittel der Zeugwart nach dem Spiel braucht, um die Leibchen wieder strahlend-weiß (wahlweise auch -blau) zu bekommen, desto Sieg! Ist doch klar: Wer sich „auf’m Platz“ den Arsch so richtig aufreißt, Gras frisst, keine Grätsche scheut und zum Flugkopfball auch noch 15 cm über der Graßnarbe ansetzt, der macht die Buden, feiert den Sieg, holt den Pokal! Goldener Richtwert: Der Persil-Parameter darf NIEMALS unter einem 3 Kg-Eimer Ariel liegen, sonst kann man’s gleich bleiben lassen. Is so! Und kommt mir nicht mit Waschmittel-Konzentrat. Das verunreinigt nur unnötig die Statistik-Ergebnisse.
Der Forken-Faktor: Wenn der Platzwart nach dem Spiel Überstunden schieben muss, weil von Rasen nicht mehr die Rede sein kann, dann ist „auf’m Platz“ was richtig gelaufen! Je mehr Minuten über Norm der arme Mann nach Abpfiff seinen kleinen Dreispitz ins Erdreich rammen muss, desto mehr ist folglich in den 90 Minuten davor „umgegraben“ worden. Und genau das ist Beweis für echte Emotion, Hingabe, Opferbereitschaft, die notwendig zum Erfolg führen muss. „Racker für den Acker“ lautet hier das Trainer-Kommando. Steht übrigens durchaus in einem fixen Verhältnis zum Persil-Parameter (siehe oben).
Alles auf Rot!
Das Problem der beiden vorgenannten Richtgrößen ist aber: Es handelt sich um Ex-Post-Werte – und nach dem Spiel weiß eh’ jeder, wie’s ausgegangen ist. Es brauch also eine Kategorie, die schon während der Ball noch rollt verrät, wohin der Hase läuft. Und diese Kategorie gibt es. Sie ist sogar die notwendige Vorbedingung für die beiden beiden oben genannten. Der Wert aller Werte ist der KK: Der Karten-Koeffizient!
Jürgen Klinsmann hatte das vor dem WM-Spiel gegen Polen noch freundlich verbrämt, als er die Anweisung gab „Knallt sie durch die Wand!“. Jawoll: Rappeln muss es! Der Schiri kann die Triller gleich im Mund behalten und darf die gelben und roten Kartons zwischendurch gar nicht erst wegstecken. Ein Kartenregen muss über dem eigenen Team herniedergehen. Dann, und nur dann, stimmt die Einstellung – und später das Ergebnis.
Klar wird der eine oder andere dann auch mal vom Feld geschickt, aber wenn die halbe gegnerische Mannschaft schon vom Platz gehumpelt ist oder getragen werden musste, dann gleicht sich das aus. Vor allem, und das ist der eigentlich angestrebte Effekt, werden die immer vorsichtiger und bilden beim nächsten Sturmlauf lieber ehrfürchtig ein Spalier im eigenen Strafraum als nochmal „Aua“ zu haben. Wenn’s so weit ist, hört der Ball gar nicht mehr auf, im Netz zu zappeln, dann ist der Sieg gewiss.
Fazit: Wir brauchen zeitgemäße, „ehrliche“ und am Offensichtlichen ausgerichtete Messgrößen. Messgrößen, die nicht für Tiki-Taka gemacht sind, sondern für die Kontaktsportart Fußball. Messgrößen, die jeder Zuschauer direkt im Stadion nachvollziehen kann, ohne vorher die 700 Chips im Ball, im Trikot und unter den Zehennägeln der Spieler ausgelesen zu haben.
Deshalb: Vergesst Ballbesitz, Passgenauigkeit und xG. Stattdessen: Alles auf Rot!
Postskriptum
War ja klar: die Glosse wurde VOR dem Spiel der Lilien in Düsseldorf verfasst und prompt müssen die Jungs alles daran setzen, den Autor zu widerlegen: bessere Laufleistung (117 : 113 km), besser xG (2,22 : 0,78), fast durchweg blitzblanke Trikots und nicht eine Karte. Aber lasst euch nicht täuschen. Auch das ist „nur eine schöne Momentaufnahme“ – im Saison-Durchschnitt relativiert sich das wieder. Es bleibt dabei: Glaubt entweder nur Statistiken, die ihr selbst gefälscht habt oder … den „wahren Indikatoren“.
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Bildquellen
- BoellenFallenTore: DanyelDahlkamp
