17 Jahre war Rüdiger Fritsch im Präsidium des SV Darmstadt 98, davon 13 als Präsident. Nun tritt er ab. Im ersten Teil des großen Lilienblog-Abschiedsinterviews lässt er die schwierigen Anfangszeiten Revue passieren, als der Verein sportlich und wirtschaftlich am Abgrund stand. Er verrät, wie ihn der damalige Präsident Hans Kessler zur Mitarbeit bewegen konnte und erklärt, warum ein Satz von damals bis heute ein zentraler Glaubenssatz des Vereins geblieben ist.
Herr Fritsch, als ihr Vorgänger Hans Kessler sie gefragt hat, ob sie sich bei den Lilien engagieren wollen, haben sie abgewunken und gesagt, dass sie keine Zeit haben, weil sie zum Abendessen müssen …
Wir hatten uns an dem Tag mehr oder weniger zufällig am Parkplatz des Böllenfalltors getroffen, weil ich meinen ältesten Sohn vom Training abgeholt habe. Wir kannten uns aus gemeinsamen Tennisklubzeiten, hatten uns aber ein paar Jahre kaum gesehen. Und dann fing Hans an, dass es eine gute Idee wäre, wenn ich sein Team unterstützen würde. Ich habe das spontan als überhaupt keine gute Idee empfunden (lacht). Aber wie man sieht, haben wir uns dann doch noch mal zusammengesetzt.
Womit hat Hans Kessler sie letztlich ins Boot bekommen?
Es war die Chance, zu zeigen, dass man etwas bewegen kann. Nicht nur als einer von 82 Millionen Fußballtrainern in Deutschland auf der Couch zu sitzen, die etwas erzählen, aber zum Schluss doch nichts machen. In die Mach- und Umsetzungsphase zu kommen – das hat mich getriggert.
Hatten sie keine Bedenken?
Die Absprache war: Ich mache das eine Amtsperiode. Es gab ja die eine oder andere rechtliche Thematik, die zu klären war, der Klub hatte kein Geld und ich durfte kostenlos als Rechtsberater arbeiten. Aber wer Hans Kessler kennt, weiß: Wen er einmal in den Fängen hat, der kommt da nur schwer raus (lacht). Und das mit der einen Amtsperiode hat dann ja auch nicht wirklich geklappt.
Es war nicht nur die finanzielle Situation, sondern auch das marode Stadion, und sportlich krebsten die Lilien in der vierten Liga herum …
Es gibt Lebensentscheidungen, die haben nichts mit Vernunft zu tun. Da sagt man sich einfach: Das mache ich jetzt. Der SV Darmstadt 98 war damals mehr als Krisenmanagement. Der Patient lag auf der Intensivstation – mit schlechten Überlebenschancen. Wir hatten Problemkomplexe auf allen Ebenen zu lösen. Da hat man sich schon mal beim Einschlafen kurz überlegt, ob man nicht morgen früh doch etwas anderes machen sollte. Aber Hans Kessler hatte so eine positive Art, dass es schwer war, zu viele negative Gedanken zu entwickeln. Er hat gesagt: Wir ziehen das durch. Und er hatte eine klare Strategie.
Wie sah die Strategie aus?
Der Hans kam von außen, war kein Darmstädter, und das war zu der Zeit eine gute Startbasis. Wir konnten relativ unvorbelastet und unbeeinflusst an die Situation herangehen und Entscheidungen treffen. Er hat sofort gemerkt, dass der Verein nicht mehr in der Stadt und in der Region verwurzelt war. In der Oberliga kamen manchmal nur 700, 800 Zuschauer. Und in der Politik und Stadtgesellschaft wollte fast keiner mehr etwas mit dem Verein zu tun haben. Wir mussten bei den entsprechenden Personen, Gremien und Verbänden Klinken putzen, um wieder Vertrauen zu gewinnen. Das war der entscheidende Punkt.
Aber zunächst wurde es ja nicht einfacher, denn der Verein musste einen Insolvenzantrag stellen …
Für mich war der Wendepunkt das erste Heimspiel nach dem Insolvenzantrag. Es ging gegen Germania Ober-Roden. Der Hans hat gesagt: Bis jetzt sind zwischen 800 und 1000 Menschen gekommen. Wenn jetzt noch 300 oder 400 mehr kommen, dann ist es richtig, wenn die Leute sagen, dass Darmstadt keine Fußballstadt ist. Und dann passierte Großartiges, es gab Fanmärsche und andere tolle Aktionen, und es kamen mehr als 5.000 Menschen zu dem Spiel.
Aber das allein hätte wohl nicht gereicht, die Finanzen in den Griff zu bekommen?
Ja, das stimmt. Aber es hat gezeigt, dass die Lilien sehr wohl ein Verein sind, der Potential hat. Für eine finanzielle Initialzündung hat dann gesorgt, dass über Vermittlung des damaligen Bürgermeisters Walter Hoffmann die Software AG als Hauptsponsor in einer Zeit eingestiegen ist, in der alle anderen die Tür zugemacht haben und weggelaufen sind. Das hat uns geholfen, den Kopf über Wasser zu halten und zu überleben.
Einer ihrer Leitsätze, den man von ihnen oft hören konnte, war: Man darf auf Dauer nicht mehr Geld ausgeben, als man einnimmt. Ist der über die Zeit gesehen noch immer aktuell?
Das hat schon Hans Kessler gepredigt. Aber man muss keine zehn Jahre Betriebswirtschaft studiert haben, um mit dem Satz etwas anfangen zu können. Das war auch eine klare Handlungsrichtlinie an das Präsidium, als wir 2012/2013 übernommen haben. An diesem Credo haben wir festgehalten. Und wie man sieht, war es nicht das Schlechteste. Wir haben kein volles Festgeldkonto. Unser Geld geben wir unter kaufmännischen Gesichtspunkten mit einem gewissen Rückbehalt aus. Der größte Kostenblock ist der Lizenzspielerbereich. Da ergeben sich durch Prämienzahlungen und Tabellenplätze auch mal Schwankungen. In 13 Jahren haben wir dreimal einen kleinen Verlust gemacht und zehnmal Gewinn. Aber es war nie ein Gewinn, der so hoch war, dass man hätte sagen können: Den geben wir jetzt lieber für anständige Stürmer aus. Wenn dieser Klub die nächsten Jahrzehnte weiter existieren soll, müssen wir wirtschaftlich sauber bleiben. Irgendwelche Harakiri-Nummern führen zu einer schlechten Entwicklung, vielleicht auch wieder zurück zu den ganz schwierigen Zeiten, die wir hier hatten.
- Teil 2: „Entwicklung“ folgt am Sonntag
- Teil 3: „Dellen“ folgt am Montag
- Teil 4: „Zukunft“ folgt am Dienstag
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- IMG_3470: Stephan Köhnlein