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Der Name Dirk Schuster ist für immer mit dem wunderbaren Aufstieg des SV Darmstadt 98 verbunden. Dabei gab es bei dessen Verpflichtung noch mindestens einen weiteren aussichtsreichen und heute ebenfalls prominenten Trainer-Kandidaten, wie Präsident Rüdiger Fritsch im zweiten Teil des großen Lilienblog-Abschiedsinterviews einräumt. Außerdem verrät der scheidende Präsident, welches Spiel aus seiner Sicht das wichtigste für die Entwicklung der Lilien bis heute war.

Eine der ersten Amtshandlungen in der Ära Fritsch war die Beurlaubung von Cheftrainer Jürgen Seeberger und die Verpflichtung von Dirk Schuster. Wobei es ja auch heißt, dass damals zunächst André Breitenreiter im Fokus stand …

Wenn man so eine wichtige Position wie die des Cheftrainers besetzen möchte, dann sollte man sinnvollerweise mehrere Kandidaten haben. André Breitenreiter hat auch mal bei mir in der Kanzlei gesessen. Der war damals ein junger eloquenter Trainer in Havelse. Wir haben uns mit ein paar Kandidaten unterhalten.

Aber dann ist das Dirk Schuster geworden – im Nachhinein der absolute Glücksgriff …

Das war ein Glücksgriff für beide Seiten. So eine Zusammenarbeit wird immer von beiden Seiten getragen. Dirk Schuster war damals ein Trainer-Novize, erst wenige Wochen zuvor bei den Stuttgarter Kickers beurlaubt worden. Er hatte eine unspektakuläre Herangehensweise, packte an, statt darüber zu reden. Und da gab es auch sein Trainerteam mit Sascha Franz, das auch dazu beigetragen hat, dass es unter den damaligen Gegebenheiten so gut funktioniert hat. Auch die damaligen Spieler mussten diese Gegebenheiten erst mal annehmen – solange man hier Fußball spielen kann, solange der Platz die richtige Größe hat, das Tor an der richtigen Stelle steht, musste es erstmal egal sein, ob man fünf Minuten warten musste, bis in den Duschen im Stadion warmes Wasser kam. Hauptsache sie konnten hier kicken. Und das haben sie ja dann auch gemacht.

Der jetzige Cheftrainer Florian Kohfeldt ist ein ganz anderer Typ als Dirk Schuster. Ist das auch Abbild der Entwicklung des Vereins?

2013 war Florian Kohfeldt noch Jugendtrainer bei Werder Bremen. Aber unabhängig davon hätten wir eine solche Art von Trainer zum damaligen Zeitpunkt wohl nicht ins Kalkül gezogen, weil andere Dinge gefragt waren. Damals hatte jeder Angst vor der Dusche und jeder musste gucken, dass er auf dem Trainingsplatz hinter der Gegengerade nicht gegen Maulwurfhügel tritt. Wir hatten einen Gesamtvereinsumsatz von 4,7 Millionen Euro. Heute sind wir in Liga zwei bei einer Größenordnung zwischen 45 und 50 Millionen. Da sind andere Strukturen und das hat auch andere Anforderungen an die Art der Mitarbeiter, um bestimmte Themen voranzubringen.

Gibt es einen sportlichen Erfolg in ihrer Amtszeit, den sie hervorheben würden?

Die einzelnen sportlichen Erfolge gebühren in erster Linie dem jeweiligen Trainerteam. Ich glaube, es ist eine falsche Einschätzung, dass das Präsidium da massiv Einfluss hat. Ich würde sagen, dass von den Mitarbeitern in verantwortlicher Position der Trainer derjenige ist, mit dem ich normalerweise am wenigsten rede. Wir im Präsidium denken nicht von Spiel zu Spiel. Wir denken eher von Saison zu Saison, vielleicht sogar im drei Jahreszyklus. Insofern ist es schwierig, da ein einzelnes Sportereignis herauszupicken.

Und ein besonders wichtiges Spiel für die Entwicklung des Vereins?

Das war  für mich persönlich das Hessen-Pokalfinale 2013, nachdem wir wenige Tage zuvor sportlich in die 4. Liga abgestiegen waren. Wir hatten uns schon davor in den Nachwehen einer schwierigen Zeit befunden. Alles war sehr zerbrechlich, und ich habe gedacht, jetzt geht wieder viel kaputt von dem, was wir zaghaft aufgebaut hatten. Die Stimmung war niedergeschlagen, im Präsidium, im Trainerteam, in der Mannschaft. Aber wir mussten noch dieses eine Spiel spielen – in Offenbach gegen Wehen Wiesbaden. Und dann waren da unsere Fans im Block, die riefen: „Nur ein Jahr, dann sind wir wieder da!“ Und das hat uns gepusht, und wir haben uns auch gesagt: „Genau, ein Jahr, dann sind wir wieder da“. Wir haben das Spiel 4:0 gewonnen, waren damit für den DFB-Pokal qualifiziert. Kickers Offenbach erhielt keine Lizenz für die 3. Liga, sodass wir doch noch in der Liga geblieben sind. Im Pokal haben wir in der 1. Runde gegen Gladbach im Elfmeterschießen gewonnen. Dieses Geld, das nicht einkalkuliert war, hat uns wieder ein bisschen Luft gegeben, ein paar Sachen wieder weiterzuentwickeln. Das war für mich die Grundsteinlegung für alles, was danach gekommen ist, das Wunder von Bielefeld und die weiteren Wunder.

Wie weit kann die Entwicklung gehen in Darmstadt? Es gibt Grenzen mit Blick auf das Stadion oder die Größe der Stadt. Trotzdem heißt es im Leitbild: Der Verein will die Top 20 des deutschen Fußballs auf Dauer herausfordern. Wie geht das?

Was bei dem Zitat immer wieder unter den Tisch fällt, ist das entscheidende Wort „herausfordern“. Das heißt nämlich, dass wir nicht immer innerhalb der Top 20 sein werden. Es geht einfach darum, immer den Kontakt dahin zu halten und ab und zu auch mal in die Top 20 einzubrechen.

Und wie kann ein Verein wie Darmstadt da mithalten?

Auch wenn man es vielleicht nicht gut findet: Geld schießt Tore. Vielleicht nicht in jedem Spiel. Aber langfristig wird der Klub erfolgreicher sein, der über bessere finanzielle Möglichkeiten verfügt. Wenn man unser Wettbewerbsumfeld 2. Liga betrachtet, sind wir eben kein Düsseldorf und schon überhaupt kein Berlin und wir sind zum Schluss auch kein Nürnberg. Und da sind wir als kleineres Darmstadt mit einer begrenzten Substanz und auch mit einem begrenzten wirtschaftlichen Umfeld hineingestoßen. Und ich würde mal sagen, dass viele Vereine aus der 2. Liga auch gerne, so wie wir in den vergangenen zehn Jahren dreimal Bundesliga gespielt hätten. Das haben wir geschafft, weil wir unser Potenzial, unsere Stärken bündeln, weil wir alle zusammenhalten. Das ist das Werk eines Teams. Dazu zähle ich auch, dass die Stadt und die Region wieder hinter uns stehen. Die Leute sind wieder stolz, mit einer Lilie auf dem Auto herumzufahren. Die Herausforderungen sind natürlich, dieses Niveau zu halten. Es wäre fatal zu erzählen, dass wir bald ein etablierter Verein in der Bundesliga sein müssten. Nicht mit unseren Möglichkeiten. Wir werden immer Darmstadt bleiben und Hamburg wird immer Hamburg bleiben. Daran können wir nichts ändern. Wir können aber permanent arbeiten, das Optimale herauszuholen und finanzielle Nachteile auszugleichen.

Provokant gefragt: Wie arm ist der SV Darmstadt 98 denn wirklich?

Wenn man sich das ansieht, muss man darauf schauen, was jeder Verein für den Lizenzspielerbereich ausgeben kann. 2023/24 haben die Zweitliga-Vereine im Durchschnitt 16,5 Millionen für ihre Spieler und Trainer ausgegeben. Bei uns lag der Wert zuletzt bei 14,5 Millionen. Das heißt, wir liegen rund zwei Millionen unter dem Schnitt. Wichtig ist auch: Wir haben ein neues Stadion gebaut und haben da ganz massive Kapitaldienste zu leisten. Das ist auf Jahre hinweg deutlich mehr, als andere Vereine Miete zahlen. Dafür gehört aber das Stadion mit seinen wirtschaftlichen Erlösmöglichkeiten uns. Letztlich sind die Finanzen eines Vereins ein kompliziertes Konstrukt, bei dem man genau aufpassen muss, was man miteinander vergleicht, damit kein falscher Eindruck entsteht.

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Bildquellen

  • IMG_3458: Stephan Köhnlein

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