Außer bei Clemens Riedel sieht Chefcoach Florian Kohfeldt den SV Darmstadt 98 bei allen Spielern in der Entscheiderposition, wenn es um einen möglichen Vereinswechsel geht. Aber er spüre derzeit bei keinem Spieler, dass er den Verein verlassen wolle, sagt der Lilien-Trainer im zweiten Teil des großen Lilienblog-Interviews. Außerdem verrät er, welches Anforderungsprofil Neuzugänge haben sollten.
Herr Kohfeldt, wo liegt aus ihrer Sicht das ungenutzte Potenzial dieses Kaders?
Es gibt wenige Mannschaften in der Liga, die einen ähnlichen spielerischen Ansatz haben wie wir. Wenn wir den zusammenzubringen mit dem einfachen Spiel, dann ist das ein ganz wichtiger Faktor, den wir noch zu selten genutzt haben. Marcel Schuhen hat mal zu mir gesagt: Wir brauchen mal wieder ein Spiel wie in der Aufstiegssaison in Nürnberg, wo wir ohne einen Torschuss ein Spiel gewinnen konnten. Gerade die engen Spiele wollen wir häufiger auf unsere Seite ziehen. Darauf werden wir auch in der kommenden Saison im Training den Fokus legen: auf das ganz einfache Spiel. Das widerspricht übrigens auch nicht unserer Spielidee, ganz im Gegenteil.
Ist das auch ein Mentalitätsthema?
Mentalität hat einen negativen Beigeschmack. Das geht in Richtung Einstellung – und da lasse ich keine Kritik an der Mannschaft zu. Das kann man ihr in keinem Spiel vorwerfen. Deswegen spreche ich lieber von Entwicklungspotenzial. In diesem Sinne ist für mich Aleksandar Vukotic der Spieler der Saison und ein gutes Beispiel. Er ist in der Lage, neben dem Fokus auf sein eigenes Spiel auch einen Blick auf solche Dinge zu werfen und zu sagen: Das müssen wir tun. Davon brauchen wir mehr, am besten auch in der Mitte des Spiels.
Beim Aufstieg mit Dirk Schuster und in den beiden erfolgreichen Jahren mit Torsten Lieberknecht mit dem zweiten Aufstieg haben keineswegs überragend besetzte Mannschaften überperformt. Der aktuelle Kader wirkt da besser besetzt, hat aber deutlich weniger Punkte geholt. Ist das dann aber nicht doch ein Mentalitätsthema?
Nein, da muss ich entschieden widersprechen. Ich habe eine extrem hohe Anerkennung für das, was hier über die Jahre in Darmstadt geleistet wurde, insbesondere unter Torsten. Ich glaube, ich trete niemandem zu nahe, wenn ich sage, dass er mit einer leicht überdurchschnittlichen Zweitligamannschaft aufgestiegen ist. Aber trotzdem kann man nicht sagen, dass die Mannschaft leistungstechnisch beständig überperformt hat. Sie hat ergebnistechnisch überperformt. Das lag auch daran, dass die Aufstiegsmannschaft klare Säulen hatte. Und über ein über einen längeren Zeitraum gewachsenes, stabiles Fundament verfügte. Und dahin wollen wir am Ende auch.
Welche Spieler benötigen sie denn dafür?
Paul Fernie macht eine extrem gute Scouting-Arbeit. Er hat vor der Saison Spieler geholt, die jetzt nicht jeder auf dem Zettel hatte, zum Beispiel Luca Marseiler, der sich als Drittliga-Spieler in der Rückrunde richtig reingefuchst hat. Natürlich macht es etwas mit dem Gegner, wenn Luca mehr als 36 Kilometer schnell laufen kann. Und natürlich ist es ein Wunsch, dass wir noch mehr solcher Spielertypen im Kader haben. Grundsätzlich brauchen wir für unsere Spielidee sehr ballsichere Spieler. Wir müssen sicherlich das Thema der Explosivität und Intensität im Blick haben, mit Ball und auch gegen den Ball. Mein Idealbild vom Fußball ist gutes Positionsspiel, Kontrolle über das Spiel zu haben. Aber immer mit dem Blick darauf, voll aufs Gaspedal zu gehen. Jede Chance, die sich ergibt, muss in einer Tempoaktion münden. Das ist auch ein Anforderungsprofil.
Muss denn auch die Leistungsdichte im Kader erhöht werden?
Was mir dieses Jahr auch aufgrund der Ausfälle gefehlt hat, waren die Kopfschmerzen, dass ich wirklich mal eine Entscheidung treffen muss, wer spielt. Du brauchst auch im Training einen permanenten Konkurrenzkampf. Wenn Bader gegen Lopez oder Will gegen Klefisch im Training spielen, dann hat das einen ganz anderen Wert, als wenn wir – bei allem Respekt – Nachwuchsspieler hochziehen müssen, damit wir überhaupt Elf gegen Elf spielen können. Ich glaube, dieses Jahr hatten wir keinen einzigen unzufriedenen Spieler. Es ist aber kein gutes Zeichen, wenn du keinen in der Kabine hast, der sagt: Ey Trainer, was ist los?
Bei Clemens Riedel gibt es Spekulationen über einen Abgang. Sind sie denn zuversichtlich, dass sie hier kontinuierlich mit dem Personal weiterarbeiten können?
Wir wollen Kontinuität, weil wir an die Entwicklung der Spieler glauben. Paul und das Präsidium haben es geschafft, bei fast allen Spielern auf dem Driver Seat zu sitzen und zu entscheiden, ob wir etwas machen oder nicht. Das ist nicht selbstverständlich bei der Größenordnung unseres Vereins. Ich spüre bei keinem Spieler, dass er wegwill. Bei nahezu allen habe ich den Eindruck, dass sie das Gefühl haben, hier entsteht etwas. Mit Paul habe ich die eine oder andere Idee, wie wir punktuell den Kader noch besser an die Spielidee anpassen können. Ob das am Ende heißt, dass alle bleiben, weiß ich nicht. Das ist eben Profifußball. Aber ich glaube nicht, dass wir hier zur neuen Saison stehen und acht Stammspieler weg sind.
Wenn wir in einem Jahr wieder hier zusammensitzen – welche Bilanz würden sie dann gerne ziehen?
Puh, das ist eine schwierige Frage. Ich werde jetzt keinen Tabellenplatz nennen. Aber ich würde sehr gerne über einen längeren Zeitraum sprechen als die Zeit zwischen Oktober bis Dezember in dieser Saison. Das ist eine Kombination aus Punkten und Fußballerlebnissen wie dem 5:1 über Lautern und dem 5:3 auf Schalke. Dann könnten wir nächstes Jahr eine schöne Bilanz ziehen.
Im dritten Teil geht es um die grundsätzliche Motivation von Florian Kohfeldt, die sich durch alle Stationen seiner Cheftrainer-Karriere zieht und eine Frage, die ihn in Darmstadt irritiert hat. Mehr dazu am Donnerstag im Lilienblog.
Welche Bilanz der gerade abgelaufenen Saison Florian Kohfeldt zieht und welches Problem ihm den Schlaf raubte, lest ihr hier in Teil 1 des Interviews.
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Bildquellen
- SVD-ssv-2024-25-da-news-0060c: Arthur Schönbein