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Fluchende Trainer, ramponierte Objektive oder auch ein paar Tränen – jeder von uns hat andere Erinnerungen an den 24. Mai 2015 – jenen Tag, als der SV Darmstadt 98 nach 33 Jahren wieder zurück in die Bundesliga kehrte und die Stadt in eine kollektive Feierzone verwandelte. Unser ganz persönlicher Rückblick zum 10. Jahrestag.

„Nichts funktioniert hier“

Dirk Schuster und andere, SV Darmstadt 98

Vor dem Spiel treffe ich Präsident Rüdiger Fritsch auf der Tribüne. Er ist äußerlich gelassen: „Wir haben doch nichts zu verlieren.“ Bei Dirk Schuster sieht es anders aus: Ich begegne ihm auf der Toilette, die damals noch von Trainern, Offiziellen und Journalisten gemeinsam genutzt wurde. Wütend schlägt er auf den bockenden Handtuchspender und schimpft: „Nichts funktioniert hier.“ Tut es dann doch, zumindest auf dem Platz. Von den Feiern in der Stadt bekomme ich wenig an diesem Tag mit, denn ich habe viel zu schreiben. Dafür bin ich am nächsten Morgen fit. Dagegen fehlt beim Start des Autokorsos am Stadion Chefcoach Schuster. „Der ist auf einer Spielbeobachtung“, erklärt sein Co-Trainer Sascha Franz, der eine dicke Sonnenbrille trägt. Beim Autokorso hält der Wagen mit Dominik Stroh-Engel genau vor mir. Der Angreifer hatte mich ein knappes halbes Jahr vorher nach dem Spiel gegen Ingolstadt noch in der Mixed Zone unter der Haupttribüne runtergeputzt, als ich ihn gefragt hatte, ob man nach dem 2:2 gegen Tabellenführer Ingolstadt nicht doch mal über den Aufstieg nachdenken könne. Er erkennt mich, wir klatschen uns ab und grinsen.

Stephan Köhnlein, Lilienblog-Chefredakteur 

 

Eine verhängnisvolle Bierdusche

Romain Bregerie ruiniert die Kamera von Arthur Schönbein, SV Darmstadt 98

Alles schön, ich war mittendrin, als Lilien-Fan, der als Kind mit Papa schon ans Bölle gegangen ist, ein Wunsch-Traum, der jahrelang unrealistisch war. Es als Fotograf hautnah zu erleben, war unbeschreiblich. Aber: Bei der Aufstiegsfeier kippt Romain Brégerie ein riesiges Glas (Weizen?)-Bier von der Bühne, trifft mich, und – noch schlimmer – meine Kamera. Bild anbei, Romain Brégerie mit leerem Glas in der Mitte zu erkennen. Alle Bilder danach von diesem Abend mit Bier-Schleier. Habe später versucht, die Kamera zu reinigen. Klebrig, pappig, es hat nicht geklappt. Bedienung nur schwer möglich, weil Knöpfe und Einstellräder verklebt waren, für den regulären Einsatz nicht mehr brauchbar. Ein bisschen halsig bin ich immer noch: Zum einen trinke ich eh kein Bier und auf Menschen oder Ausrüstung muss man das Zeug auch nicht kippen. Allerdings ist diese Kamera noch heute im Gebrauch: Ich nutze sie als Hintertor-Kamera, da muss ich immer nur eine Einstellung wählen und alles andere passiert mit Fernsteuerung. 

Arthur Schönbein, Lilienblog-Fotograf

 

Als sich ein Kreis schloss

Toni Sailer, Moritz und Nick Golüke

Ich weinte. Weil ich es nicht fassen konnte. Weil die Lilien wieder da waren – in der Bundesliga. Nach all den Jahren. Vor dem Spiel war da nur Anspannung. Dann Kempe, der Abpfiff. Erlösung. Ich fiel meinem Sohn Moritz in die Arme. Elf Jahre alt, „Du musst kämpfen“-Band am Handgelenk. Wie ich. Ich erinnerte mich: Anfang der 80er, ich ein Bub von etwa neun, mit der Spardose durch Darmstadt. So stolz, fünf Mark gesammelt zu haben für die Rettung „meiner“ Lilien. Damals, als alles auf der Kippe stand. Heute stand ich wieder da – mit Tränen in den Augen. Neben Legenden wie Toni Sailer. Neben meinem Sohn. Und spürte: Fußball ist mehr als ein Spiel. Es ist Familie. Heimat. Geschichte. Und manchmal schließt sich der Kreis. Im schönsten aller Stadien. Am Böllenfalltor.

Nick Golüke, Mitglied des Lilienblog-Podcasts Heinerstube

 

Aquarium-Selfie mit Aytac

Christoph Sicars, Aytac Sulu

Am Vormittag war ich mit dem Rennrad an der Bergstraße unterwegs. An jeder Haltestelle, an der ich vorbeikam, standen Menschen mit blau-weißen Lilien-Trikots oder Schals. Es lag etwas Besonderes in der Luft – und das wurde es dann auch. Ich war an diesem Tag für die „Frankfurter Rundschau“ im Stadion, auf meinem Stammplatz auf der Pressetribüne, und sollte nach dem Spiel die Stimmen der Spieler einholen. Doch dazu kam es nicht wirklich. Den Spielverlauf habe ich gar nicht mehr so vor Augen. Ich erinnere mich nur daran, dass Tobi Kempe in der 71. Minute das Bölle in ein Tollhaus verwandelte – mit seinem Freistoß zum 1:0. Nach dem Spiel bildete sich eine riesige Party-Meute beider Klubs und Fanlager. Denn der FC St. Pauli hatte trotz der Niederlage den Klassenerhalt geschafft. Ich eilte in die Mixed Zone, die sich damals im Kabinengang neben dem Schuh-Putzbecken befand. Doch auch dort herrschte nur Party-Stimmung – links die Lilien, rechts die St. Paulianer. Mittendrin: ein bereits mehrfach biergeduschter Pauli-Coach Ewald Lienen. Auf dem Weg zur Pressekonferenz mit den beiden Trainern, an deren Inhalt ich mich allerdings kaum noch erinnere, kam ich am legendären Aquarium im Stadion-Inneren vorbei. Dort kam mir Lilien-Kapitän Aytac Sulu mit einem riesigen Bierglas in der Hand entgegen. Entgegen aller journalistischen Professionalität bat ich ihn um ein Selfie. Danach zog ich mit ein paar Kollegen in die Stadt, um auf dem Marktplatz bei ein paar Kaltgetränken die feiernde Mannschaft im Ratskeller mit den Fans zu beobachten. Irgendwann gesellte sich auch der heutige Lilien-Ehrenpräsident Hans Kessler zu uns – und stieß mit uns auf diesen unglaublichen Tag an.

Christoph Sicars, Lilienblog-Autor und Mitglied der Heinerstube

 

„Wo geht’s denn lang? – Wo muss ich hin?“

SV Darmstadt 98 - FC St. Pauli - Archiv

Für die Lilien gings um den Aufstieg, für St. Pauli um den Klassenerhalt. Am Ende schafften es beide. Tobi Kempes Tor seines Lebens, der Freistoß in jener denkwürdigen 71. Minute „Das war keiner“, sollte St. Paulis Kult-Trainer Ewald Lienen später sagen. Emotionale Momente nach dem Schlusspfiff von Schiedsrichter Florian Meyer: Jubel, Umarmungen, Freudentränen, Bierduschen. Lilien-Trainer Dirk Schuster und Kollege Lienen lagen sich in den Armen – Augenblicke wie im Rausch. Es wurde gefeiert am Bölle. Doch Hamburg ist weit. Und Lienen wollte weiterfeiern. Auf dem Kiez, im Herzen von St. Pauli. Den Mannschaftsbus zum Flughafen verpassten er und sein Präsident Oke Göttlich. Draußen vor dem Stadion, mehr als eine Stunde nach dem Schlusspfiff, ein aufgewühlter, aber glücklicher Lienen auf der Suche nach dem Straßenbahn-Anschluss, klatschnass und mit Bier geduscht: „Wo geht’s denn lang? Wo muss ich hin?“ rief er uns inmitten einer um ihn stehenden Lilien-Fangruppe zu. „Komm‘ mit, du musst da hoch“, riefen wir zurück. Er verabschiedete sich von der Fan-Gruppe („Jungs, ich muss los jetzt!“), winkte uns zu und legte einen Sprint in Richtung Haltestelle hin, der uns staunend zurückließ. Die Straßenbahn hat er erreicht, den Anschluss geschafft wie zuvor den Klassenerhalt. War knapp – aber gut. Und so machte sich Lienen in einer proppenvollen Straßenbahn auf zum Darmstädter Hauptbahnhof, wo der Sonderzug nach Hamburg bereit war für eine wohl unvergessliche Heimreise.

Frank Horneff, Lilienblog-Autor 

 

Mit zusammengekniffenen Augen

SV Darmstadt 98, Aufstieg

Schon im Vorfeld versucht, zusätzlich zur eigenen Dauerkarte so viele Karten wie möglich zu ergattern – klar, wer wollte an diesem vielleicht historischen Tag aus dem Freundes- und Bekanntenkreis nicht alles dabei sein (Besuch selbst aus Köln und Berlin). Bruder beim offiziellen VVK-Beginn am Fanshop. Anruf: „Du, hier ist ne Frau, die will noch vier Karten …“ „KAUFEN!!!!“ Die erste Erinnerung an den Spieltag: total diesig, dennoch brutal grelles Licht. Gedanke auf der Gegengerade: Mist, Sonnenbrille vergessen! Also den Aufstieg mit zusammengekniffenen Augen erlebt. Deshalb aber nicht weniger euphorisch als das Tollhaus um mich herum. Der Freistoß von Tobi Kempe: Unerreicht. Und unerreichbar. Seele aus dem Leib geschrien. Dann gebetet, gebibbert. Platzsturm, Freudentaumel … und natürlich unsere wunderbaren Gäste, ebenfalls überglücklich. Schaltausch im Innenraum. Den Freund und ehemaligen Mitschüler, der schon seit Jahrzehnten in Hamburg lebt und akkreditierter Fotograf bei Pauli ist auf dem Platz getroffen. Und dann bei Muttern auf dem Balkon das ergatterte Stück Rasen im Blumenkasten eingepflanzt …

Martin Hohmann, Lilienblog-Autor

 

Ein Satz für die Ewigkeit

Das Shirt zum Aufstieg

Es waren 70 Minuten gespielt, wir brauchten ein Tor, doch der Ball wollte einfach nicht rein. Ich stand im Kabinengang, als es den Freistoß gab. „Tobi, hau das Ding rein!“, habe ich gerufen. Und was soll ich sagen … Dirk Schuster kam alleine zur Pressekonferenz, wollte aber nichts mehr zum Spiel sagen. Der Pauli-Trainer Ewald Lienen war schon weg mit den Fans in der Straßenbahn. Danach haben wir alle groß gefeiert. Vor allem Dirk Schuster. Das T-Shirt mit seinem legendären Satz: „Keine Ahnung. Ich war voll“ habe ich mir später auch besorgt.“ 

Oliver Düvel, guter Geist im Lilien-Presseraum seit 2012

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Die Sonne scheint, SV Darmstadt 98, Buch

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Bildquellen

  • 040-Aufstieg-2015: Arthur Schönbein
  • 1-d98-fcsp-1335: Arthur Schönbein
  • Voll: Privat

Ein Kommentar

  • Manfred sagt:

    Schee war’s: St. Pauli-Fans abgeklatscht und gemeinsam auf dem Rasen gefeiert … nach dem unvergessenen Freistoß-Tor von Tobi!

    Danke für die Sammlung von schönen Erinnerungen!

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