Ein neues Leben ohne Tobias Kempe beim SV Darmstadt 98 – Lilienblog-Autor Martin Hohmann schreibt in seiner Glosse „Böllen. Fallen. Tore.“, wie das möglich ist. Wobei: So richtig weg ist der Tobi ja gar nicht.
30 Tage ohne IHN, 30 Tage ohne Fußballgott. OK, es heißt ja, niemals geht einer so ganz – aber dazu komme ich noch … Mein Blick zurück auf den 18. Mai ist verschwommen.
Spätestens als Tobias Kempe am letzten Spieltag nach seiner Auswechslung zum Mikro greift, gehen bei mir die Schleusen auf. Pippi inne Augen, wie man im Pott sagen würde. Ich konnte nix mehr sehen. Viele Stunden lang nur noch Schlieren. Und als ich wieder sehen konnte … war ER weg.
Und dann kam der Montag. Der Alltag. Der erste Tag ohne Fußballgott.
Tja, was man halt so macht: Aufstehen, Kaffee, Zeitung, Arbeit gehen, Heimkommen … wird sich schon wieder irgendwie einschleifen, dachte ich. Muss ja. Sei kein Memme, sprach ich mir gut zu. Sei wie ER. Mach es wie ER: Zirkel’ der Zukunft einen in den langen Winkel, hau ihr einen ins kurze Eck!
Was soll ich sagen: Kaum ein Tag ist seitdem vergangen, an dem ich IHN nicht getroffen habe. Erst war ich perplex, ist doch klar. Wärt ihr auch. Aber der Reihe nach: Gleich am Dienstag nach dem Spiel zum Beispiel. Ich so an der Haltestelle, steig’ in die 3, auf zur Arbeit. Setze mich vorne hin, wie immer kleines Lächeln für den freundlichen HEAGmobilo-Man (oder Woman) … und mir gefriert das Blut: Das sind SEINE stahlblauen Augen, die mich da im Rückspiegel fixieren, SEINE roten Bäckchen, SEIN spitzbübisches Grinsen. Tobi fährt jetzt Straßenbahn? Irre! Unglaublich!! Naja, denke ich bei mir, als der erste Schock überwunden ist: Wundert mich das wirklich? Tobi weiß halt, wo’s lang geht.
Gleich am nächsten Tag, Mittwoch, später Nachmittag, Feierabend, gerade einen Schoppen eingegossen. DING DONG! Schlurf zur Tür, Gegensprechanlage: „Paket für sie!“ Ich mach auf, und wer steht da? ER nu wieder. Lächelt mich an, lässt mich unterschreiben, schwingt sich wieder in seine gelbe Kutsche und ist fort. Ich stehe noch ein paar Minuten da, schüttele langsam den Kopf. Bis der Groschen fällt: Tobi liefert ab!
Zwei Tage später, ich bin etwas spät dran auf dem Weg zum Kunden. Also Taxi gerufen. Kommt, ich steig’ ein und wer sitzt am Steuer? Na klar! Schon wieder ER. Ich traue mich immer noch nicht, IHN zu fragen, wie ihm sein Leben ohne Ball denn so gefällt. Außerdem ist er gerade hochkonzentriert. Das Fahrtziel liegt in einem dieser Neubaugebiete am Stadtrand. Noch keine Straßenschilder, aber kein Problem: Tobi findet die Gasse!
Ich will nicht sagen, dass ich mich mittlerweile daran gewöhnt habe, IHN viel öfter zu sehen als früher am Bölle. Aber es wirklich genau wie damals auf dem Platz, Tobi ist einfach überall:
Schlossgrabenfest am Würstchengrill, ER mit der Zange in der Hand: Tobi legt auf!
Oder als es vorletzte Woche nebenan brannte und die Feuerwehr anrollte. Tobi mittendrin, Wasser Marsch! Tobi ist da, wenn’s irgendwo brennt!
Dann wieder neulich bei Aldi, der arme Opi in der superlangen Schlange vor Kasse 3. Tobi, schon fast am Förderband an Kasse 2, bittet den Alten rüber und lässt ihm den Vortritt: Tobi hat das Auge für den Nebenmann.
Und Anfang dieser Woche, als auf der Baustelle in der Innenstadt zwei Stifte, drei Maurergesellen, ein Meister und ein Vorarbeiter ratlos mit dem Plan vor der frisch gesetzten Mauer stehen, ratlos Beton anrühren, weil sie nicht wissen, wie es weitergehen soll: Tobi tritt aus dem Hintergrund an, Kelle in der Hand und … macht die Ecke! YEAH!!!
Sogar als ich mich vor ein paar Tagen schwer erkältet hatte und den ärztlichen Notdienst anrief, weil ich mit dem verdammten Zäpfchen nicht klarkam: Dr. Kempe macht das Ding rein!
Der 18. Mai ist längst vergessen. Lewwe geht weiter. Und wie! Tobi Kempe ist nicht fort. ER ist da, mitten unter uns, jeden Tag. Macht mal die Augen auf, dann werdet ihr IHN auch sehen. Ist das nicht wunderbar?
P.S.: Vorgestern war ich übrigens auf Kurzbesuch in Hamburg. Hab’ mal ne Hafenrundfahrt gebucht. Im Ernst: Der Matrose da auf dem Schlepper, der an uns vorüber fuhr, so’n kleiner, stämmiger, kurze Beine, bisschen O-förmig, Schiffchen auf dem Kopp, Hohlkreuz, Maispfeife im Mundwinkel, Ärmel hochgekrempelt, Ich könnte schwören, das war … Marcel Heller.
„Böllen. Fallen. Tore.“ läuft regelmäßig als Glosse im Lilienblog. Böllen, weil sie Sinnbild der sportlichen Heimat des SV Darmstadt 98 sind. Fallen, weil die überall rund um die Böllen lauern. Tore, weil es um nix anderes geht. Is doch so!
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Bildquellen
- BoellenFallenTore: DanyelDahlkamp
Irgendwie schön zu lesen wenn man nichts anderes vor hat.
Aber echt, so eine Geschichte muss man sich erst mal einfallen lassen.
Vielen Dank für den kleinen, kurzen, Roman 😃😃👍
Sehr schöne Idee, sprachlich fein umgesetzt (!! Zäpfchen…) – hat mich angenehm zum Schmunzeln gebracht – vielen Dank dafür!!!
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Heißt es nicht richtig ;
LEBBE GEHT WEIDDER
LILIEBLUEHEART
Glaube ich nicht – zumindest nicht bei Stepi, der den Satz geprägt hat: https://www.amazon.de/Lebbe-geht-weider-Dragoslav-Stepanovi%C4%87/dp/3730700162
Sorry,
mein Nachname lautet natürlich Sonnenschein – mein Fehler!!
Ein Lächeln am Morgen …
Entlockt durch die schöne Glosse!
@ Maddin: Dankeschön!!