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Der zweite Teil unserer Serie zur Geschichte des SV Darmstadt 98 befasst sich unter anderem mit der Gründung des FK Olympia Darmstadt.

In den 1890er Jahren spielten einige Darmstädter Jungen regelmäßig Fußball auf dem Schloßgartenplatz. An der Stelle, an der 1905
die Sankt-Elisabeth-Kirche geweiht wurde, steckten sie ein Fußballfeld mit 40 Metern Länge ab. Sie waren allesamt Schüler des Darmstädter Realgymnasiums und kickten dort, wann immer sie konnten, bis in die Abendstunden.

Ihre großen Vorbilder waren die Fußballer Englands und sie versuchten so viele Informationen über ihre Vorbilder und den englischen Fußball aus Literatur und Presse zu bekommen, wie irgend möglich. So waren Ihnen auch alle englischen Fußballfachbegriffe in Fleisch und Blut übergegangen. Aber auch deutsche Vereine wie Hanau 93, VfB Leipzig, Viktoria oder Britannia Berlin begeisterten sie.

Die Gründer des FK Olympia Darmstadt 1898, SV Darmstadt 98

Die Gründer des FK Olympia Darmstadt 1898: v.l.n.r. Prof. Leopold Ensgraber, Dr. Fritz Ensgraber, Dr. Bernhard Ensgraber, Dr. Karl Ensgraber – 1. Vors. FK Olympia, Dr. Wilhelm Ensgraber, Ernst Ensgraber

Gründung auf dem Schlossgarteplatz

Zu den Kickern vom Schloßgartenplatz zählten vier Jungs mit dem Familiennamen Ensgraber: Friedrich (geboren 1880), Karl (geboren 1882), Bernhard (geboren 1883), Wilhelm (geboren 1888). Diese vier waren die Gründer des FK Olympia Darmstadt 1898. Der jüngste Bruder Ernst (geboren 1889) wurde erst später aktiv. Er war damals noch nicht dem Klickerspielen entwachsen. Die Gründung wurde am 22. Mai 1898 am Schlossgartenplatz vollzogen. Offizieller Gründer war der Vater der vier noch minderjährigen Jungs, Leopold Ensgraber. Karl wurde der 1. Vorsitzende, insgesamt zählte der Verein in seinen Anfängen 13 Mitglieder. Die Ensgrabers wohnten Am Schloßgartenplatz Nummer 10. Der FK Olympia war ein sogenannter Verein alten Rechts, da er vor Inkrafttreten des BGB (1900) gegründet wurde und damals gab es noch kein Vereinsregister, in das der Verein hätte eingetragen werden können.

Leopold Ensgraber wurde 1855 geboren und verstarb 1924. Er war Professor, Magister und Oberlehrer am Alten Realgymnasium in Darmstadt. Zudem war er laut Aussage seines Urenkels Gernot Ensgraber „Prinzenerzieher“, also Privatlehrer von Kindern der großherzoglichen Familie.

Leopold Ensgrabers Tochter (Elisabeth Bernhardine Marie), die Schwester der Vereinsgründer heiratete Dr. Karl A. Christoph Grünewald (der von 1889 bis 1979 lebte). Nebenbei: Deren Tochter, Marie Hildegard Elisabeth Schmitt (geb. Grünewald), wohnte bis zu ihrem Tod im Gründerhaus Am Schlossgartenplatz 10 in Darmstadt und war Ehrenmitglied des SV 98. Ihr Vater, der langjährige Torwart, Abteilungsleiter und Vorsitzende unseres Vereins, Dr. Karl Grünewald war also der Schwager der Vereinsgründer und der Schwiegersohn von Leopold Ensgraber. Er war (ebenfalls) Lehrer am Alten Realgymnasium und seit der Absetzung des letzten Großherzogs Ernst Ludwig (also ab 1918) Privatlehrer von dessen Söhnen, Prinz Georg Donatus und Prinz Ludwig.

Sofortiges Schnappen des Balles nach Spielende und andere Tricks

Wilhelm Ensgraber, war bei der Vereinsgründung erst 10 Jahre alt und folglich zu klein, um bei Turnieren mitspielen zu dürfen. Ersatzweise war er als Ballwart tätig und nahm diese Aufgabe sehr ernst. In seinen handschriftlichen Aufzeichnungen berichtet Wilhelm über Erfahrungen als Ballwart des FK Olympia:

„Finanziell befand sich der Klub nämlich damals total auf dem Hund und war daher nicht in der Lage, sich einen zweiten Ball anzuschaffen, der immerhin 10 Mark gekostet hätte. So war also vom Zustand des Veteranen der gesamte Spielbetrieb abhängig. Aufgeregt stand ich am Spielfeldrande und fragte mich ständig, ob auch diesmal wieder meine vorher angewandte Sorgfalt ausreichen würde, um den Ball für die ganze Dauer des Spiels gesund zu erhalten. So war das Ergebnis des Spiels für mich nur eine Frage 2. Ordnung, der Verlauf des Treffens vollends von ganz untergeordneter Bedeutung. So war der Schlusspfiff für mich jedesmal eine Erlösung aus seelischer Not. Und zu meinem eigenen Lobe muss ich feststellen, dass folgende Behandlungsmethode immer erfolgreich war:

  1. sofortiges Schnappen des Balles bei Spielende;
  2. Herauslassen der Luft;
  3. peinliche Untersuchung der Hülle bezüglich der geringsten Lockerung der Nähte;
  4. genaue Untersuchung der Blase unter Wasser und deren sofortige Sicherung bei geringstem Verdacht einer schwachen Stelle;
  5. Besuch des Schuhmachers zur Reparatur und Sicherung;
  6. Einfetten der Hülle
  7. schwaches Aufpumpen am Samstag
  8. festes Aufpumpen am Sonntag Vormittag;
  9. siehe zu 1)

Jegliches Wochentagstraining musste bei solcher Einstellung des jugendlichen Ballwartes wegfallen. Man beugte sich aber den harten Tatsachen solange, bis wieder bessere Zeiten gekommen waren. Ich erhielt sogar ein Lob anlässlich der Generalversammlung durch den „Präsidenten“ Karl.“

Handschriftliche Aufzeichnungen von Dr. Wilhelm Ensgraber über seine Kindheit und Jugend

Den einzigen Ball des Fußballvereins hatte Vater Ensgraber seinen Söhnen Karl und Bernhard einst zu Weihnachten geschenkt. Wilhelms Mutter übernahm für den Fußballverein die wöchentlichen Kosten des Schuhmachers für die Ballreparaturen. Kosten entstanden auch für Zugfahrkarten zu den auswärtigen Fußballspielen mit gegnerischen Mannschaften.

Bei der Wiederwahl des Präsidenten Karl kassierte dieser sogar 2 Gegenstimmen. Nach Wilhelms Beschreibung kam dies so: „Und als gar 1898 der F.C. Olympia ……begründet wurde, hatte meine Achtung von Karls sportlichen Fähigkeiten kaum noch Grenzen. Was Karl tat, war für mich ein Evangelium. Meine seelische Unterordnung ging so weit, dass ich bei schriftlichen Abstimmungen stets nach listenreicher Erkundung seines Votums das Gleiche tat wie er, also auch bei der Wiederwahl des Präsidenten, wobei er für sich selbst nicht stimmen konnte, sondern seinen Konkurrenten begünstigte. Ich ahnungsloser Helot merkte nicht, dass ich infolgedessen gegen mein eigenes Idol gestimmt hatte, der 2 Stimmen gegen sich verzeichnete.“

Torstangentransport, Karikatur von Hartmuth Pfeil

Torstangentransport, Karikatur von Hartmuth Pfeil

Bei den Kicks unter den Ahornbäumen des Schlossgartenplatzes gingen immer öfters Fensterscheiben an den umliegenden Häusern zu Bruch. Irgendwann wurden die Proteste der Nachbarn so groß, dass die 98er den Platz als Spielfeld verlassen mussten. Sie zogen nach Arheilgen auf das Gebiet „An der Täubcheshöhle“ Dieses liegt in der heutigen Gemarkung „Arheilgen West“ westlich des Arheilger Bahnhofs und nördlich der B 42. Dort spielten sie auf einer Wiese mit relativ spärlichem Grasbewuchs. Auf diese Wiese trieb ein Schäfer regelmäßig seine Schaf- und Hammelherde und er befürchtete, dass durch die Kickerei die Gräser auch noch beschädigt würden. Er vertrieb die Jungs, die bis dahin regelmäßig ihre schweren Torstangen vom Schlossgartenplatz zur Täubcheshöhle schleppten und nach dem Training wieder zurück transportierten. Sie hatten also bereits um das Training herum einige körperliche Anstrengung zu bewältigen. Aber das war immer noch besser als gar nicht kicken zu können. Sie waren halt idealistische Darmstädter Fußballpioniere.

Thomas Spengler und Mignon Löffler-Ensgraber beleuchten für den Lilienblog in einer siebenteiligen Serie die Geschichte des SV Darmstadt 98.

Im dritten Teil geht es um die Zeit, als die Vereine auf Exerzierplätzen spielten.

Alle Beiträge auf einen Blick:

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Bildquellen

  • Gründer4_VHR: Vereinshistorisches Referat des SV Darmstadt 98
  • Ensgraber23_VHR: Vereinshistorisches Referat des SV Darmstadt 98
  • Torstangen5_VRG: Vereinshistorisches Referat SV Darmstadt 98

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